Freitag, 12. April 2013

In Spanien - Teil I: Das Elend

In Spanien lebten meine drei Freunde, meine Tochter Samantha und ich bei einem alten Mann. Unser Zuhause war ein kleines, schon sehr in die Jahre gekommenes Häuschen neben einem verlassenen Sportplatz. Ich kann wohl sagen, dass wir ziemlich ärmlich lebten. Wir bekamen von dem alten Mann allerdings immer etwas zu essen, so Reste oder altes Brot, mal auch ein Stückchen Käse, einige Male sogar Trockenfutter. Er gewährte uns Schutz in seinem Haus vor Regen, Kälte oder übermäßiger Hitze. Als Gegenleistung sollten wir sein Haus bewachen und die Jugendlichen von dem Grundstück fernhalten. Vor allem erwartete er aber Gehorsam, was er auch mit Schlägen und Tritten deutlich machte.

Ich wußte nicht, ob wir es bei dem alten Mann gut oder schlecht hatten. Ich kannte es ja nicht anders. Bis er starb. Die endlosen Monate danach waren für uns die Hölle auf Erden. Es ist schwer, darüber zu sprechen, aber vielleicht hilft es mir und auch anderen Hunden. Es ist nämlich mein größter Wunsch, dass liebe Menschen auch den anderen schutzlosen Hunden helfen  - genauso, wie mir letztendlich geholfen wurde. Aber der Reihe nach.

Eines Tages starb der alte Mann, einfach so. Nach ein paar Tagen kamen fremde Menschen und räumten das Haus aus. Sie nahmen alles mit, was für sie irgendein Wert hatte. Wir waren für sie natürlich einfach  wertlos. Sie ließen uns, fünf Hunde, alleine in dem verfallenen Haus. Wir verstanden das gar nicht. Was sollten wir jetzt machen? Wer würde sich um uns kümmern? Woher sollten wir etwas zu essen und zu trinken bekommen? Wer könnte uns beschützen, wenn böse Menschen kämen?
Foto: Finca Lucendum

Wir alle hatten Angst. Am meisten fürchtete ich um meine kleine Tochter, weil sie ohnehin so schüchtern und Menschenscheu war. Wie sollte ich sie beschützen? Wir trauten uns nur in der Nacht oder in der Morgendämmerung hinaus, um etwas zum Essen zu suchen. Nach einigen hungrigen Tagen entdeckte einer von uns einen Müllcontainer, der gar nicht so weit entfernt vom Haus stand. Darin konnten wir immer etwas finden, was noch essbar war. Wir waren ja wirklich nicht wählerisch, aber manchmal mußten wir einfach Sachen essen, wovon mir heute immer noch ganz schlecht ist.

Richtig schlimm wurde es, als die Kinder und Jugendlichen entdeckten, dass unser Haus jetzt leer steht. Wir mußten ständig aufpassen, dass wir uns bloß schnell genug in den Büschen versteckten, wenn sie wieder kamen. Ihnen schien es Spaß zu machen, alles Restliche im und am Haus zu zerstören - vor allem uns zu quälen. Weil ich immer dafür sorgte, dass meine Tochter in Sicherheit war, konnte ich ihnen einige Male nicht entkommen. Ich will das gar nicht genauer beschreiben, aber Steine, Mopeds, Stöcke, lautes Gegröhle und Kapuzenpullis haben für mich seither eine tiefgehende Bedeutung.

Sicher wären wir eines Tages in einer staatlichen Auffangsstation (Perrera) gelandet, wo es kaum noch einen Ausweg gegeben hätte - wenn nicht nach Monaten des Alleinseins und des Leidens eine freundliche fremde Frau uns entdeckt hätte. Es war schon Herbst, es regnete öfter und ich wußte nicht, wie wir den Winter überstehen sollten. Außerdem spürte ich, dass ich wieder schwanger war. Die fremde Frau brachte uns jeden Tag etwas zu essen und frisches Wasser. Zwar hielten wir einen großen Abstand zu der Frau, aber sie machte unser Leben doch etwas leichter.
Foto: Finca Lucendum

Nach ein paar Wochen tauchte die fremde Frau mit zwei anderen Menschen und einer kleinen Hündin auf. Wir lagen gerade im Schatten, ziemlich weit entfernt vom Haus. Sie entdeckten uns trotzdem sofort. Als sie aber versuchten, näher zu kommen, wichen wir zurück. Sie wirkten zwar überhaupt nicht bedrohlich, aber man konnte ja nie wissen. Die zwei neuen Menschen hatten auch graue Haare und wirkten ebenfalls sehr freundlich. Das war eigentlich ein gutes Zeichen. Und sie sprachen sehr lieb mit ihrer kleinen Hündin, die uns etwas zurief. Wir waren aber zu weit weg. Die Menschen machten ein Zeichen, dass wir zu ihnen kommen sollten, was wir selbstredend absichtlich übersahen. Sie warfen etwas vor die Tür des Hauses und schienen sich zu entfernen. Irgendwie interessant war das schon.

Foto: Finca Lucendum
Nach einer Weile ging ich mit meiner Tochter vorsichtig nachsehen. Dort lagen mehrere Leckerlies auf dem Boden und sogar ein Kügelchen mit ganz weicher Wurst. Ich roch mißtrauisch daran und noch bevor ich sie warnen konnte, hatte meine Tochter das Kügelchen schon verschlungen. Kurz danach wurde sie plötzlich ganz müde und legte sich einfach vor das Haus hin. Ich bekam Angst - das war wirklich nicht gut. Ich konnte sie aber nicht wegzerren, denn ich hörte die Menschen zurückkommen. Mir blieb nichts übrig als wegzulaufen und meine arme Tochter alleine zurück zu lassen. Aber gegen drei Menschen war ich machtlos. Als ich sah, dass sie meine Tochter mitnahmen, mußte ich bitterlich weinen. Das Einzige, was mich tröstete, war zu sehen, wie liebevoll diese Menschen mit ihr umgingen. Vielleicht waren sie doch nicht böse. Unsere drei Freunde sahen die Menschen trotzdem als Bedrohung an und wollten einfach weiter weglaufen, irgendwo einen sicheren Platz suchen. Ich wollte aber nicht mit. Ich hoffte noch, dass diese Menschen vielleicht doch meine Tochter zurückbringen würden.

Ein paar Tage danach fühlte ich mich einfach schwach und krank. Ich hatte keine Energie mehr für mich, geschweige denn für das Baby in meinem Bauch. Ich begann aufzugeben, wollte mich hinlegen und nicht mehr aufstehen. In dem Moment kamen diese Menschen wieder, aber nur die zwei Grauen. Und die kleine Hündin war wieder dabei. Sie rief mir freundlich zu und sagte, dass sie Paulinchen sei und dass es gute Menschen seien. Sie hätte meine Tochter gerettet und würden vielen Hunden helfen. Außerdem seien sie sehr liebe Menschen. Sie würden in einem großen Haus mit schönem Garten und viel Platz zum spielen leben. Das wichtigste sei jedoch, dass es  immer etwas Gutes zu essen gäbe. Mir war inzwischen eigentlich alles egal und als sie mir auch so ein Wurstkügelchen zuwarfen, aß ich es. Ich wurde so müde und schlief fast ein. Ich fühlte nur, wie sanfte Hände mich streichelten und mich hoch hoben. Die graue Frau duftete gut. Sie flüsterte in mein Ohr: "Jetzt brauchst Du keine Angst mehr haben. Willkommen auf der Finca Lucendum, liebe kleine Pia."

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